EINWEIHUNGSRITUAL IN DIE BACCHUS-MYSTERIEN


Ein von links kommender Satyr trägt einen mit Früchten und einem Phallus gefüllten Korb, von rechts nähert sich eine Bacchantin, die einem in einen Mantel gehüllten Mann die Augen verschließt und zu dem Satyr führt. Hinter ihnen folgt eine weitere Bacchantin, eine Rahmentrommel schlagend. Den oberen Abschluss dieser Darstellung auf einer Tonplatte bildet ein Palmettenfries. Die Szene zeigt ein Einweihungsritual in die Bacchus-Mysterien, bei dem der gefüllte Korb über dem Initianden ausgeleert wird. Ziel des Ritus ist es, durch die Weihung für einen kurzen Zeitraum mit Hilfe von ekstatischem Tanz und Weingenuss mit dem Gott Bacchus eins zu werden.

Das Verbreitungsgebiet jener Terrakottareliefs beschränkte sich auf den italischen Raum. Sie dienten als Dekor in der Architektur und lösten Mitte des 1. Jh. v. Chr. Tonplatten der etruskischen Tempelarchitektur, die als Holzschutz gegen Witterungseinflüsse angebracht waren, ab. Sie wurden friesartig aneinandergereiht angebracht, woraus sich thematisch zusammengehörige Bilder oder kontinuierliche Erzählungen ergaben. Die Varianz der Bildmotive war von dionysischen Themenwelten über Götterdarstellungen bis hin zu mythologischen Heldengeschichten breit gefächert. Die Produktionszeit der Terrakottareliefs belief sich auf ca. 200 Jahre und endete Mitte des 2. Jh. n. Chr.

Ihre Benennung erhielten sie nach Giovanni Pietro Campana (1808-1880). Während seines Studiums der Altertumswissenschaften nahm er 1831 die Stelle als Assistent des Inspektors des päpstlichen Pfandleihhauses Sacro Monte di Pietà an, die ihm von Papst Pius VII. ermöglicht wurde. Nur kurze Zeit später wurde er bereits Inspektor und ab 1833 Direktor. Als solcher reformierte er die Einrichtung grundlegend. Campana gehörte zu den wohlhabenden Männern Roms mit vielen ländlichen Besitztümern. Nebenbei betätigte er sich auch als Archäologe und unternahm zahlreiche Ausgrabungen in der Stadt Rom und deren Umgebung. Zu seinen bedeutendsten Entdeckungen gehörten zwei Kolumbarien an der Via Appia, ein später nach ihm benanntes Grab in der Etruskerstadt Veji und das sog. Grab der Reliefs in Cerveteri. Eine Münzsammlung, die Giampietro nach dem Tod seines Vaters erhielt, stellte den Ausgangspunkt seiner späteren eigenen Sammlung dar, die zu einer der größten privaten Sammlungen des 19. Jahrhunderts zählte. Weitere Stücke gelangten durch Ausgrabungen und Ankäufe, die teils eigenfinanziert waren oder durch Kredite ermöglicht wurden, in die Sammlung Campanas – besonders antike Skulpturen, Keramik, Terrakotten, Schmuck sowie italienische Malereien. Um seine immensen Ankäufe zu finanzieren, hatte Campana Mittel der Bank, der er vorstand, in Anspruch genommen. Am 28. November 1857 wurde Campana verhaftet und nach einem aufsehenerregenden Prozess im Juli 1858 zu 20 Jahren Haft verurteilt. Der Kirchenstaat konfiszierte seine Sammlung. Viele der Stücke gelangten beim Verkauf 1861 nach Großbritannien (Victoria and Albert Museum) und Russland (Eremitage). Der Großteil aber wurde auf persönliche Intervention Napoleons III. von Frankreich erworben. Der Kaiser setzte sich auch erfolgreich für eine Umwandlung der Haftstrafe Campanas in eine Verbannung ein. Die Sammlung wurde mit großem Erfolg als Musée Napoléon III ab 1862 präsentiert.

Die Freundschaft zwischen Emil Braun (1809-1856), Direktor des Instituto di Corrispondenza Archeologica - dem Vorläufer des Deutschen Archäologischen Instituts - in Rom und dem Jenaer Professor für Klassische Philologie, Carl Wilhelm Goettling (1793-1863) war eine glückliche Fügung: Durch Vermittlung des sächsischen Staatsministers Bernhard August von Lindenau (1779-1854) gelang es Braun, dass Campana über 200 Objekte über Herzog Joseph von Sachsen-Altenburg dem von Goettling 1846 neu gegründeten Archäologischen Museum der Universität Jena zur Verfügung zu stellen. Als Dank bekam Campana dafür vom Altenburger Herzog das Komturkreuz des Sachsen-Ernestinischen Hausordens verliehen. Noch heute gehören die Objekte der Campana-Schenkung zu den schönsten und wertvollsten Originalen in Jena: neben griechischen und etruskischen Keramiken sind auch Schmuckplatten aus Ton und Gipsabgüsse von Skulpturen und Architekturteilen unter den Geschenken aus Rom.

In der ersten Ausstellung des 2018 eröffneten neuen Gebäudes des Instituts für Altertumswissenschaften im Fürstengraben 25 wird unter dem Titel „Gauner, Gönner und Gelehrter. Die Schenkung des Marchese Giovanni Pietro Campana“ an die großartige Schenkung von 1846 erinnert. Erstmals seit fast 100 Jahren werden alle Objekte in wissenschaftlicher Neubearbeitung dem Publikum in den frisch sanierten historischen Räumlichkeiten eines spätmittelalterlichen Kontors präsentiert und in einem vollständigen Katalog veröffentlicht.

Zusammen mit dem Jenaer Campana-Relief wird in der Ausstellung noch ein weiteres Exemplar aus dem Museum August Kestner in Hannover gezeigt. Beide Platten stammen aus derselben Form und wurden wahrscheinlich beide in Tusculum südöstlich von Rom gefunden. Auf den Ländereien der Familie Campana führte nämlich der Hannoveraner Legat und Archäologe August Kestner 1831 Ausgrabungen durch. Möglicherweise gelangten die Platten im Rahmen damals üblicher Fundteilungen in die Sammlungen Kestners und Campanas – und damit später nach Hannover und Jena.

Terrakotta-Platte, sog. „Campana-Relief“
Ton
H. 35 cm, B. 43 cm
Fundort: Italien (Tusculum ?)
Sammlung Antiker Kleinkunst, Inv.-Nr. T 200

Dr. Dennis Graen