LUCAS CRANACH DER JÜNGERE (?): PERGAMENTMINIATUR "GESETZ UND GNADE" VON 1543
Am 4. Oktober 1515 wurde in Wittenberg Lucas Cranach der Jüngere geboren. Dass sich also sein Geburtstag 2015 zum 500. Mal jährt, liefert den Aufhänger des aktuellen Themenjahres "Reformation - Bild und Bibel" der "Lutherdekade". Im Fahrwasser dieses Gedenkens wurde, so darf man sagen, der jüngere Lucas Cranach neu entdeckt und trat im Bewusstsein von Forschung und Öffentlichkeit endlich aus dem Schatten seines seit Jahrhunderten viel populäreren Vaters Lucas Cranach der Ältere. Ausstellungen und Publikationen dieses Jahres haben die große künstlerische Originalität und Qualität des Sohnes erstmals angemessen gewürdigt und aufgearbeitet. Lucas Cranach der Jüngere, der ab 1537 weitgehend die Geschäftsführung der berühmten Cranach-Werkstatt in Wittenberg übernahm, leitete diese mit großem Erfolg, bis zu seinem Tod am 25. Januar 1586.
Die ThULB Jena besitzt ein handgemaltes Cranach-Kunstwerk, das Objekt des Monats Oktober. Es handelt sich um eine Miniatur auf Pergament (Blatt: 38,5 x 26,3 cm; Bildfeld: 19,5 x 19,5 cm). Das Blatt war im ersten Band der großartigen zweibändigen Kurfürstenbibel Johann Friedrichs I. (ThULB Jena, Ms. El. f. 102a-b) vor dem Titelblatt eingebunden, bevor es 1962 für eine Restaurierung herausgelöst wurde. Das auf der Miniatur gezeigte, als "Gesetz und Gnade (bzw. Evangelium)" oder auch "Verdammnis und Erlösung" bekannte Bildthema steht in engem Zusammenhang mit der protestantischen Rechtfertigungslehre in der Prägung Martin Luthers. Der Reformator hatte die Ideen zur künstlerischen Verbildlichung dieses Themas 1529 gemeinsam mit Lucas Cranach dem Älteren entwickelt. Umgesetzt wurden in der Folge verschiedene kompositorische Grundtypen im großen (Tafel- bzw. Altarmalerei) wie kleinen Format (Holzschnitte einzeln und in Büchern). Das Jenaer Blatt folgt im Wesentlichen dem so genannten "Gothaer Typus" (nach einem kompositorisch ganz ähnlichen Cranach-Gemälde von 1529 im Herzoglichen Museum Gotha). Ein Baum teilt das Bild in eine Sündenseite links und eine Gnadenseite rechts: Auf der Sündenseite sind hinten der Weltenrichter und Adam und Eva am Baum der Erkenntnis zu sehen; vorne wird Adam von Tod und Teufel zum Höllenfeuer getrieben, in dem sich unter anderen Eva befindet, und Mose zeigt drei Begleitern die Gesetzestafeln. Auf der Gnadenseite steht Johannes der Täufer mit Adam, den das Blut des Gekreuzigten trifft, am Kreuzesfuß das Gotteslamm; außerdem sind Christus als Sieger über Tod und Teufel, die eherne Schlange, Maria in Erwartung des Kindes und die Füße des zum Himmel fahrenden Christus dargestellt. In der Höhle ganz rechts erkennt man das Cranachsche Schlangen signet und das Entstehungsdatum 1543. Ober- und unterhalb des Bildfeldes stehen die für Luthers Rechtfertigungslehre wichtigsten Bibelstellen, vor allem aus dem Römerbrief.
Dass hinsichtlich der Händescheidung im Werk der Cranach-Werkstatt noch Forschungsbedarf herrscht, zeigt etwa das Jenaer Bild. Wie so oft stellt sich die Frage: Malte es der Vater oder der Sohn Lucas - oder beide zusammen, evtl. unter Beteiligung von Mitarbeitern? In der bisherigen Literatur wurde das Bild überwiegend als Werk Lucas Cranachs des Jüngeren aufgefasst, ohne dass dies wünschenswert konkret begründet worden wäre. Angesichts der erfreulichen aktuellen Zuwendung zum Werk des Sohnes bleibt zu hoffen, dass sich die Zuschreibungsfrage des "Gesetz und Gnade"-Bildes der ThULB bald lösen lässt.
Signatur: Ms. El. f. 102a (Beilage)
Ansprechpartner: Dr. Joachim Ott