EIN BESITZVERMERK DES DUC DE BERRY - SICHTBAR GEWORDEN DURCH MULTISPEKTRALANALYSE
Die Pergamenthandschrift Ms. El. f. 87 gehört zu den wertvollsten Büchern der ThULB. Sie enthält die "Facta et dicta memorabilia", eine Anekdotensammlung des Valerius Maximus (Anfang 1. Jh.), in der französischen Übersetzung des Simon de Hesdin († 1383). Der Stil des Buchschmucks mit schönen Miniaturen verweist darauf, dass die Handschrift um 1380/90 in Paris entstand.
In ungewöhnlicher Deutlichkeit steht die Reihe der früheren Besitzer der Handschrift vor uns. Bevor sie 1549 in die Jenaer Bibliothek gelangte, befand sie sich in Wittenberg als Teil der kurfürstlichen Bibliothek (Bibliotheca Electoralis). Johann Friedrich I. (1503-1554) hatte sie und weitere hochrangige französische Handschriften und Inkunabeln 1538 von Graf Heinrich III. von Nassau (1483-1538) als Geschenk erhalten. Zuvor, im späteren 15. Jahrhundert, gehörte die Handschrift einer unbekannten Person, deren Wappen auf dem Vorderdeckel bislang nicht identifiziert werden konnte. Davor besaß sie für kurze Zeit ein Kammerherr König Karls VI. von Frankreich: Jean de Hangest, Herr von Heuqueville († 1407). Er wiederum hatte sie übernommen von einem berühmten Vorbesitzer (vielleicht dem Erstbesitzer): Jean de Valois (Jean de Berry; 1340-1416), Herzog von Berry und Auvergne. Der Duc de Berry ist als einer der leidenschaftlichsten Büchersammler der Geschichte bekannt. Er gab großartige illuminierte Stundenbücher (allen voran die "Très Riches Heures"), die zu den Höhepunkten spätmittelalterlicher Buchkunst gehören, in Auftrag.
Dass Jean de Berry die heutige Jenaer Handschrift einst besaß, wissen wir einerseits, weil sie in einem Inventar seiner Sammlung von 1402 aufgeführt ist, vor allem aber, weil sich der Herzog am Schluss von Ms. El. f. 87 (331rb) als Besitzer eingetragen hatte. Dieser Vermerk wurde freilich später durch Rasur getilgt, sodass er mit bloßem Auge nicht mehr sichtbar ist (auf die Rasurstelle wurde, wohl im späteren 15. Jahrhundert, das Wort "Explicit" geschrieben). Das war der Grund, warum man über Jahrhunderte nichts von dem prominenten Vorbesitz ahnte. Erst 2006 entdeckte der Wissenschaftler Hanno Wijsman im Rahmen eines Besuchs in der ThULB mit Hilfe einer UV-Licht-Handlampe Spuren des rasierten Vermerks. Diese reichten aus, durch Vergleich mit anderen Handschriften des Jean de Berry den Wortlaut zu rekonstruieren: "JEhan / Ce Livre est au duc de Berry".
Vor kurzem, im Februar 2016, fand in der ThULB eine Multispektralanalyse mehrerer historisch herausragender Handschriften und Drucke der ThULB statt, eine Kooperation mit den Monumenta Germaniae Historica (München) und dem Sonderforschungsbereich 950 "Manuskriptkulturen in Asien, Afrika und Europa" (Hamburg). Bei diesem berührungs- und zerstörungsfreien Verfahren, das weltweit bereits vielfach mit Erfolg eingesetzt wurde, werden historische Dokumente durch LED-Leuchten für kurze Momente unterschiedlichen Farbwellen des Lichtspektrums ausgesetzt und dabei hochauflösend fotografiert. Eine wesentliche Basis sind Ultraviolett- und Infrarotstrahlung. Auf diese Weise können etwa rasierte Textstellen, deren Spuren in tieferen Schichten besonders von Pergament erhalten sind, erkannt werden. Auch der Besitzvermerk des Duc de Berry konnte auf diese Weise in einer weit über das bisher Mögliche hinausgehenden Prägnanz sichtbar gemacht werden; zudem offenbarten sich drei darunter befindliche, bislang noch nicht interpretierte Textzeilen. Die nebenstehenden Bilder verdeutlichen den Unterschied zwischen dem, was das bloße Auge sieht, und dem Resultat der Multispektralanalyse.
Signatur: Ms. El. f. 87
Ansprechpartner: Dr. Joachim Ott
LITERATUR:
Joachim Ott, unter Mitarbeit von Hanno Wijsman: Die Handschriften der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena, Band 3: Die mittelalterlichen französischen Handschriften der Electoralis-Gruppe; mittelalterliche Handschriften weiterer Signaturreihen (Abschluss), Wiesbaden 2016, S. 59-64.