31. OKTOBER 1517: LUTHERS BRIEF AN ALBRECHT VON BRANDENBURG IN RÖRERS ÜBERSETZUNG


Am letzten Tag dieses Monats ist es soweit: Der bedeutungsvolle 31. Oktober 1517 jährt sich zum fünfhundertsten Mal. Zur Einstimmung auf dieses Ereignis hatte man vor Jahren eine "Lutherdekade" ausgerufen, und 2017 ist das kulturelle Leben in Deutschland, speziell in Thüringen und Sachsen-Anhalt, von unzähligen Veranstaltungen zum Thema Luther und die Reformation geprägt. Unser Objekt des Monats - eines von zahlreichen bemerkenswerten Dokumenten der ThULB aus der Reformationszeit - bezieht sich direkt auf den Gedenktag.

31. Oktober 1517: Martin Luther begibt sich entschlossenen Schrittes vor das Portal der Wittenberger Schlosskirche. Sich umblickend, greift er zu einem großen Blatt, das er mit sich führt. Darauf stehen seine Thesen gegen den Ablass. Mutig nimmt er seinen Hammer und nagelt mit hallenden Schlägen das Blatt an der Tür fest. Was die Passanten, die sogleich neugierig zum Portal strömen, nicht ahnen: Es sind die weltumstürzenden Hammerschläge der zu dieser Stunde ausgelösten Reformation.

Dies ist eine schöne Geschichte, unzählige Male so oder ähnlich erzählt und im Bild und Film dargestellt. Allein: Nichts davon lässt sich belegen. Ob es einen Thesenanschlag gab und wenn ja, wie er sich abspielte, ist eine Frage, die seit Jahrzehnten umstritten, aber mangels eindeutiger Quellenhinweise letztlich unlösbar ist. Was dagegen gewiss ist, sind Luthers 95 Thesen gegen den Ablass. Wir kennen sie im Wortlaut, um sie geht es eigentlich - nicht um den Akt ihrer Anbringung.

Und: Auch ohne das Narrativ eines Thesenanschlags ist der 31. Oktober 1517, der Tag vor Allerheiligen, für die Wirkungsgeschichte der Thesen von entscheidender Bedeutung: Mit diesem Datum schickte Luther einen Brief an Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Magdeburg und Mainz (WA Br 1,108-112). Die Unterschrift "Martinus Luther" zeigt erstmals die uns vertraute Namensform: Aus "Luder" wurde "Luther". Das Autograph des berühmten Schreibens liegt im Riksarkivet Stockholm. In untertänigem, aber doch bestimmtem Ton ersucht Luther seinen kirchlichen Vorgesetzten Albrecht, die verhängnisvolle Ablasspraxis zu hinterfragen und seine Anweisungsschrift an die Ablasshändler ("Instructio summaria") zurückzuziehen. Am Schluss folgt dann das denkwürdige Postskriptum, Albrecht möge sich doch einmal Luthers Thesen ansehen, um den Ablasswahn zu begreifen: "Si t[uae] R[everendissimae] p[aternitati] placet poterit has meas disputationes videre, vt intelligat, quam dubia res sit Indulgentiarum opinio: quam illi vt certissimam seminant." Leider ist das dem Brief beigelegte Exemplar der Thesen verloren.

Selbstverständlich ist der Brief - ebenso wie die Thesen - lateinisch, eine Angelegenheit unter Gelehrten. Wie bei anderen Texten Luthers auch, war man später bestrebt, die des Lateinischen Unkundigen an den im Brief geäußerten Gedanken des Reformators teilhaben zu lassen, indem man ihn ins Deutsche übersetzte. In den beiden ersten Werkeditionen, der Jenaer und der Wittenberger Lutherausgabe, finden sich nicht nur die 95 Thesen, sondern auch der Brief an Albrecht auf Deutsch. Der Schlusssatz lautet hier: "SO es / hochwirdigster Vater / E.K.F.G. gefellig ist / mögen sie diese sprüche [WLA: Propositiones] vom Ablas ansehen und lesen / auff das sie vernemen / wie der wahn vom Ablas / gar ein ungewis ding ist / den doch die Ablasprediger für [WLA: fur] gantz gewis ausruffen und halten." (JLA, dt. Reihe, Bd. 1, 1555r, 2; WLA, dt. Reihe, Bd. 9, 1557, 9v).

Es gibt noch eine weitere deutsche Übersetzung von Luthers Brief, deren Verhältnis zur Version in den Lutherausgaben bisher offenbar noch nicht untersucht worden ist. Sie findet sich in Ms. Bos. o. 17e (3v-5r), einer der in der ThULB liegenden Handschriften Georg Rörers, und stammt von dessen Hand. In das Jubiläumsjahr 2017 fallen auch der 525. Geburtstag und der 460. Todestag dieses eifrigen Verbreiters von Luthers Schriften. Rörers Übertragung ist keine Reinschrift, sondern enthält Korrekturen, Ergänzungen und Streichungen, die von Rörers Bemühen um die passendsten Wörter zeugen. Bislang ist nicht geklärt, wann Rörer seine Übersetzung aufschrieb. Aus dem Kontext der Handschrift erschließt sich jedenfalls, dass sie vor Erscheinen der oben genannten Bände der Lutherausgaben (1555/57) entstand. Luthers Postskriptum lautet in Rörers von ihm mindestens einmal überarbeiteter Formulierung (Ms. Bos. o. 17e, 5r; Endfassung): "¶ So es dir hochwirdigster Vater gefellig ist, magstu diese Sprüche ansehen und lesen, auff das du vernemest wie der wahn vom Ablas ein ungewiss ding sey, davon sie doch treumen als sey er gantz gewis". Dies gleicht in Teilen der Version in den Drucken, weist aber signifikante Unterschiede auf, etwa die vertraulichere Anrede ("du" statt "sie"). Rörer strich seinen Text später mit roter Tinte durch, was darauf hindeutet, dass er ihn verwarf. Es ist möglich, dass die in der Jenaer Lutherausgabe abgedruckte und später in die Wittenberger übernommene Übersetzung das (nochmals überarbeitete) Werk Rörers, des Redaktors der Jenaer Ausgabe (wie zuvor auch der Wittenberger), ist. Freilich könnte sie auch einer der anderen Jenaer Editoren (auf Basis von Rörers handschriftlicher Version) abgefasst haben. Nicht übernommen wurde jedenfalls Rörers anschauliches, vom lateinischen Wortlaut bewusst abrückendes Bild, die Ablassprediger seien bloß Träumer.

Signatur: Ms. Bos. o. 17e

Ansprechpartner: Dr. Joachim Ott