ERDBEBEN UND SEINE AUSWIRKUNGEN
August Sieberg (1875 - 1945) gilt als Begründer der Ingenieurseismologie, der Disziplin also, die sich mit den Auswirkungen von Erdbeben auf Bauwerke und den Menschen allgemein befasst. Das heißt, dass hier nicht der Erdbebenherd und die Entstehung der Erdbeben im Vordergrund stehen, sondern die Auswirkungen an der Erdoberfläche. Demzufolge hat Sieberg auch lange bevor Charles Richter zusammen mit Benno Gutenberg in Kalifornien die Magnituden-Skale entwickelte (die die Energiefreisetzung im Herd beschreibt), bereits die Intensitäts-Skala weiterentwickelt zur Mercalli-Cancani-Sieberg-Skala ("Erdbebenkunde", 1924; MCS-Skala). Mit dieser Skala werden die Auswirkungen eines Bebens an der Erdoberfläche beschrieben.Sieberg kam mit Oskar Hecker 1919 als dessen Assistent nach Jena, als dieser zum ersten Leiter der neu gegründeten Reichszentrale für Erdbebenforschung berufen worden war; vorher arbeitete er in Straßburg an dem dortigen seismologischen Observatorium. Nach der Pensionierung Heckers leitete er von 1932 bis 1945 das Institut in Jena.
Zur Darstellung der wissenschaftlichen Zusammenhänge schrieb Sieberg mehrere Bücher zur Seismologie, das erste bereits im Jahr 1904 mit dem Titel "Handbuch der Erdbebenkunde". Zur Verdeutlichung der Sachverhalte malte er viele Aquarelle, auf denen er sowohl die Erdbeben- und Vulkanregionen speziell im europäischen Raum und im Bereich des Mittelmeeres darstellte wie auch die Prozesse, die zu Erdbeben führen und die Vulkaneruptionen begleiten. Das Bild "Wirkungen eines schweren Erdbebens", das er 1934/35 malte, zeigt nun die Zerstörungen, die an Bauwerken (Gebäuden und Brücken) auftreten sowie die Umgestaltung der Erdoberfläche (Bergrutsche, Hebungen und Senkungen).
Noch kurz vor seinem Tod führte Sieberg Modellversuche zur Erdbebensicherheit von Gebäuden durch: Dabei ließ er Gebäude im Maßstab von 1:10 bis 1:50 auf Plattformen aufbauen, die anschließend angestoßen wurden. Die Auswirkungen, also den Ablauf der Zerstörung der aus einzelnen kleinen Ziegeln und Fachwerkrahmen aufgebauten Modelle, dokumentierte er mit einer Hochleistungskamera. Auch diese Arbeiten waren zukunftsweisend: Heute werden derartige Versuche mit großen Schütteltischen durchgeführt, weil die numerischen Modellierungen oft zu kompliziert sind.
August Sieberg: Die Wirkungen eines schweren Erdbebens, signiert: A. Sieberg 1934/35,
Aquarell, 47,0 cm x 68,5 cm (mit Rahmen 50,0 cm x 70,0 cm),
InvNr. JGS 2017/007, Standort: Geodynamisches Observatorium Moxa.
Prof. Dr. Gerhard Jentzsch